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Soldat ärgere Dich nicht


1914


Im Jahre 1907 überkam den Münchner Erfinder Josef Friedrich Schmidt eine Idee: Aus Blöcken von hölzerner Natur trieb er kleine Männchen, die er nach ihrer Erschaffung auf eine alte Hutschachtel setzte, auf der sie Spielfiguren mimten. Der erste Prototyp des Gesellschaftsspiels „Mensch ärgere Dich nicht“ erblickte in diesem Moment das Licht der Welt. Zunächst lediglich als Beschäftigung für seine drei Söhne geplant, waren seine Sprösslinge doch so fasziniert von dem Spiel des Vaters, dass dieser 1910 beschloss, mehrere dieser Art in seiner kleinen Werkstatt von Hand zu fertigen. Wäre es allerdings falsch, ihm die alleinige kreative Arbeit an dem Spiele-Klassiker zuzuschreiben. Inspiration lieh sich der Münchner Geschäftsmann bei dem jahrhundertealten Spiel „Pachisi“ aus Indien und dem im 19. Jahrhundert entwickelten britischen Kinderspiel „Ludo“, einer kindgerechten Vereinfachung des asiatischen Vorgängers.


Doch der Erfinder blieb zunächst auf seinen Prototypen sitzen. Der Verkauf seiner handgefertigten Exemplare gestaltete sich äußerst zäh, versetzten dieser Tage die politischen Spannungen in Europa und der schon über allem schwebende Erste Weltkrieg die deutsche Bevölkerung nicht gerade in unermüdliche Spiellaune. Trotz dieser ungünstigen Umstände begann Josef Friedrich Schmidt 1914 mit der Serienproduktion seines Brettspiels, war er doch von seiner Neuschöpfung überzeugt.


Parallel kam es wegen des Attentats auf den österreichischen Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni des gleichen Jahres zum nahezu überfälligen Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Nach dem zunächst erfolgreichen Vormarsch der deutschen Truppen nach Frankreich, fanden sich diese nur einen Monat nach Kriegsausbruch in einem zermürbenden Stellungskrieg östlich von Paris wieder. Bereits in den ersten Kriegsmonaten gab es in vielen verlustreichen Kämpfen zahllose Verwundete, deren Wunden und Streifschüsse in Lazaretten medizinische Versorgung erhielten. An ebenjene Versehrte – genauer an deutsche Lazarette entlang der Westfront – versandte Josef Friedrich Schmidt 3000 seiner in Serienproduktion hergestellten Brettspiele. Fortan lenkten sich die Verwundeten, derer es bis Kriegsende weit über 4 Millionen auf deutscher Seite gab, aber auch die übrigen Soldaten in den Schützengräben, mit Schmidts Figuren vom erbarmungslosen Kriegsgeschehen ab. Auf diese Weise lernten viele Männer Schmidts Freizeitvertreib zu spielen und zu schätzen. Und brachten ihn so auch mit in die Heimat und zu ihren Familien, als der Erste Weltkrieg 1918 mit dem Waffenstillstand von Compiègne sein Ende fand.


Mit Hilfe dieser Materialspende an die Lazarette und einem bezahlbaren damaligen Stückpreis von 35 Pfennig, hielt der Gesellschaftsspiel-Klassiker, der sich mittlerweile über 70 Millionen mal verkauft hat, in den folgenden Jahren rasch Einzug in die Wohnzimmer der Welt.

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